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SÜCHTIG NACH STRAVA | Oliver Butscher

Süchtig nach Strava

Hast du vergessen, Strava zu starten oder dein GPS einzuschalten? Dann hättest du auch zu Hause bleiben können: «If it’s not on Strava, it didn’t happen» – behauptet die Community. Ein roter Teufel erklärt, wie die App funktioniert.

Wer erinnert sich an die alten Geschwindigkeitstachos für Velos, auf welchen ein simpler Pfeil die Fahrgeschwindigkeit anzeigte? Der Schreibende selbst jagte diesen nach der Primarschule auf der steilen Dorfstrasse im Hirzel schon mal auf 70 km/h hoch. Zeiten ändern sich.

 

Wer heute in der Veloszene etwas auf sich hält, lässt sich mit der App Strava sowie GPS-basiertem «Tacho» am Fahrradlenker mehr als nur die Geschwindigkeit mitteilen: In Wochen-, Monats- und Jahresstatistiken werden sämtliche sportlichen Aktivitäten wie Radfahren, Lauftrainings, Längen im Schwimmbecken oder Skitouren als digitales Trainingstagebuch aufgezeichnet. Als Leistungswerte werden nicht nur die zurückgelegte Strecke und die Geschwindigkeit, sondern auch Herzfrequenz oder Kraftübertragung angezeigt.

Weltweite Community

Um Strava hat sich eine weltweite Community gebildet. Auch eine Reihe von Profisportlern laden regelmässig zurückgelegte Trainings- und sogar Rennstrecken hoch. User können sich so mit Profis messen, sich miteinander vernetzen, liken und folgen.

 

Ein Anhänger von Strava ist der Kommunikationsprofi Oliver Butscher. Als die Tour de France durch seinen Wohnort Bern und über die Monbijoubrücke führte, nutzte er den Steilpass für einen direkten Vergleich. Sein Fazit: «Keine Chance gegen die Profis! Der Schnellste jagte mit sagenhaften 74 km/h über die Brücke!»

Zum Interviewtermin in Zürich reiste der sportliche 45-Jährige standesgemäss mit dem Velo an. «Als Vorbereitung schaute ich mir auf der App die Route eines Bekannten an, der die Strecke Bern–Zürich regelmässig mit dem Velo zurücklegt. Anschliessend legte ich meine eigene Route wunschgemäss fest und optimierte sie so, dass es auch noch für einen Kafi-Halt reichte.»

 

Kürzlich absolvierte Butscher eine Langstreckenprüfung, ein sogenanntes «Brevet», rund um den Bodensee. Dank Strava konnte er sich optimal vorbereiten: «Ich wusste nicht nur, mit welchen Steigungen – zum Beispiel am Pfänder – zu rechnen ist, sondern auch, wer aus meiner Community alles teilnimmt.» Der Veranstalter, Audax Suisse, ist auch als virtueller Club auf Strava vertreten. «So bleibe ich das ganze Jahr über auf dem Laufenden. Auch kann ich so mein Netzwerk ständig mit neuen Bekanntschaften erweitern.»

Powernap am strassenrand

Einer der Höhepunkte in der Agenda von Oliver Butscher war das Brevet London–Edinburgh–London. Die 1430 Kilometer in freier Streckenwahl legte er auf dem Rennvelo unbegleitet in 105 Stunden zurück. «Alle 80 Kilometer gab es Kontrollstellen, wo man auch übernachten konnte. Einige Teilnehmende machten aber schon mal einen kurzen Powernap irgendwo am Strassenrand», erzählt er.

Als dieser Artikel entstand, trainierte Oliver für «Navad1000», ein Mountainbike-Rennen, in welchem auf einer 1000 Kilometer langen Strecke zwischen Romanshorn und Montreux 31’000 Höhenmeter zurückgelegt werden müssen. «Ein Fernziel von mir ist die Teilnahme am 1200-Kilometer-Brevet Paris–Brest–Paris.» Es sei das Langstreckenbrevet überhaupt und gelte als die «Mutter der Tour de France». Aber auch London-Edinburgh-London 2021 (1500 km), der Transatlantic Way in Irland 2021/2022 (2500 km) oder das Transcontinental Race 2022 (3800 km) stehen auf der Bucket List von Oliver Butscher.

Zu Trainingszwecken kann er auf Strava nun per Handyverbindung und Live-Anzeige auf dem Velocomputer speziell auf seine Ziele zugeschnittene Strecken nachfahren. «Meine öffentlichen Trainingsdaten sowie die ständige Vergleichbarkeit motivieren mich schon mal, auch alleine zu trainieren – auch wenns mal regnet.»

Kürzlich wurde die Routenplanung verbessert, diese funktioniert nun automatisiert auf der Basis von Big Data. «Ich gebe an, womit, wie weit und wie hügelig ich fahren will, die App macht mir drei Vorschläge, ich wähle aus, übertrage die Strecke auf den Velocomputer und fahre los. Das dauert zwei Minuten und funktioniert gut.»

KOM: King of Mountain

Auf Strava als Schnellster auf einer Strecke angezeigt zu werden, sei eine Ehre und werde selbstverständlich verteidigt, erklärt Butscher. Die App kann einen Trainingsweltmeister auch zum temporären «King of Mountain» küren. Für das Absolvieren von speziellen Herausforderungen erhält man ein virtuelles Abzeichen. Bei der «Rapha Festive 500» müssen dazu zwischen Weihnachten und Silvester 500 Kilometer zurückgelegt werden. «Dafür bekommt man ein richtiges Stoffabzeichen zugeschickt», sagt Butscher und freut sich.

Lädt das System nicht zum Betrügen ein, etwa indem man den Velocomputer im Auto mitnimmt? «Das lässt sich nicht zu 100 Prozent ausschliessen», so Butscher. Kürzlich machte er einen Kollegen darauf aufmerksam, dass er seine angezeigte Geschwindigkeit unbeabsichtigt temporär auf über 80 km/h «frisierte»: «Er hatte tatsächlich sein Gerät auf dem Autodach vergessen.» Und die App warnt bei unmöglichen Werten. Man kann dann in der App die Aktivität sehr einfach anpassen.

 

Als Nerd verwalte er per App sogar seine Ausrüstung, indem er einzelne Komponenten wie die Kette oder Bremsbeläge erfasste. Cool findet der Aficionado auch die Live-Übermittlung des Standorts: Damit könne die Liebste überprüfen, ob er sich noch bewege – oder schon beim Bier sitze.