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PARIS-BREST-PARIS (UNSUPPORTED)

by Martin B

INTO INFINITY | the sky is NOT the limit
INTO INFINITY | the sky is NOT the limit

prologue

Vor 8 Tagen ist das Velo in Rambouillet angekommen, vor 6 Tagen ich. Die Zeit habe ich genutzt, um zu arbeiten, mit anderen Frühankömmlingen Zeit zu verbringen und beim Coiffeur war ich auch 😉.

 

Gestern Abend habe ich ein paar Starts mitverfolgt – als Highlight auch den „Funny Bikes“-Start.

Jour 1: rambouillet-launeuc

„V“ ist die mit Abstand kleinste Startgruppe. Ich lasse die ca. 17 anderen schon mal fahren und verabschiede mich kurz nach der Startlinie von den zwei Bénévoles an meiner Seite. Die ca. drei Minuten zwischen Start und Überfahren der Zeitmessung werden zur Finisherzeit knapp unter 79 Stunden beitragen. Das kleine Fahrerfeld hinter dem nicht zu überholenden Führungsfahrzeug ist bald wieder eingeholt.

Es wird hell. A im DF wird gleich ranfahren, um im Aufstieg ein paar Worte zu wechseln. Das „Tor“ in den oberen Ecken ist die vorne abgelegte Haube – die Magnethalterung ist genial!

Genau im richtigen Moment vor den Teich überholt M.

 

Bei Km 60 überholt die Spitze von Gruppe W mit E, den ich vom Superbrevet Scandinavia (SBS 2022) kenne und den ich danach nicht mehr sehen werde. Bis ins Ziel werde ich fast zu jedem Zeitpunkt mindestens einen Randonneur vor und/oder hinter mir sehen.

 

Die Durchfahrt von Alençon ist mühsam. Zumindest wenn man sich an die Verkehrsregeln hält.

 

Viel los ist allgemein nicht am Montagvormittag.

 

Es wird wärmer. Während der ganz heissen Tageszeit öffne ich die Haube nur bergauf und unten handbreit(=bequem) und schmore im Schatten.

 

P auf dem Liegerad ist aus Villaines, welches nur wenige Km entfernt ist. Gerne würde ich seine Ankunft miterleben, doch dafür bin ich zu langsam. In Villaines Pasta, 0%-Bier mit Amerikanern und der Motorradcrew.

 

Nach gerade mal 230 km hole ich erstmals jemanden der 90h-Gruppe ein, der am Vorabend gestartet ist. Der muss schon sehr weit hinter dem Zeitlimit sein.

 

So viel, wie ich schwitze, kann ich doch gar nicht trinken. Allen anderen gönne ich den Rückenwind von Herzen, ich hätte soo gern etwas Kühlwind bergauf.

 

X (SBS 2022) ist im wahren Regenbogentrikot von weitem zu erkennen. Ohne Gruppe seinerseits können wir etwas Erinnerungen und Erwartungen austauschen.

 

Mehrfaches gegenseitiges Überholen mit einer Gruppe mit ca. 15 Italientrikots.

 

Mit der rechten Hand fotografiere ich diese vorbeifahrende Gruppe. Die Linke befördert Brombeeren vom Strauch in den Mund.

Langsam füllt sich die Strasse mit Teilnehmern des 90h-Limits. Es ist noch nicht die „Bulge“, also das auf mehrere Stunden verteilte Hauptfeld. Bergauf ein paar Wortfetzen wechseln, ist jeweils drin.

 

Die Association Française de Vélocouché hat auf dem Camping 3km vor Tinténiac gleich eine ganze Wiese gemietet und ich darf etwas fachsimpeln und eine Portion Pasta essen. Im Gegensatz zur Geheimkontrolle beim „Pitchoun 200“ hat es hier auch ein Spendenkässeli. Im Ziel sehen wir uns wieder!

 

Das Ende der Bulge habe ich erreicht und die ersten Teilnehmer kommen auch schon entgegen.

 

Im Frühstücksraum des Hotels stehen diverse Velos mit 90h-Nummern. Der Teller Fisch mit Reis entspricht den hohen Ansprüchen des Restaurants – ich hätte Geschmack/Anrichtung/Portionengrösse lieber etwas anders gewichtet gehabt – fürs Gemüt ist das Bettmümpfeli super!

 

jour 2: launeuc-brest-pontivy

Die anderen Velos sind längst weg. Auf dem Hotelparkplatz schläft ein Randonneur. Mein Name wird in den anbrechenden Tag gerufen.

 

Bald habe ich O (SBS 2022) und C eingeholt und freue mich über ein paar wachmachende Worte.

 

In Loudéac sind die meisten schon auf dem Rückweg, insgesamt ist aber wenig los.

 

Geheimkontrolle 7km vor St. Nicolas. Dort fülle ich die Vorräte auf und fahre bei St. Nicolas ohne anzuhalten durch. Auch bei allen folgenden „Sites d’accueil“ werde ich ohne anhalten durchfahren.

 

F (SBS 2022) treffe ich in Carhaix wieder. Dort gebe ich auch spontan ein kurzes Interview, das mit Foto im Télégramme erscheinen wird. Zu einem Russen setze ich mich den Tisch. Wie das Radfahren im Allgemeinen oder die Randonneurs-Szene im Speziellen in Russland ist, erfahre ich ebensowenig wie die Umstände seiner Anreise: Unser gemeinsamer Wortschatz: Brest, Paris. Immerhin lachen wir etwas.

ch habe zwei glückliche Abnehmerinnen der zu verschenkenden AudaxSuisse-Caps gefunden. Am nächsten Morgen werde ich sie nochmal vor einer Bäckerei stehen sehen, da werden sie aus dem Zeitlimit gefallen sein.

Der höchste Punkt des Brevets (mein Wohnort ist deutlich höher 🤣) mit spannendem „Wolken“spiel bei perfektem Velowetter. Die ersten 4km Abfahrt sind super, dann habe ich den Lastwagen eingeholt, der seinerseits von Randonneuren ausgebremst wird.

Brest! Da wollen wir alle hin und kaum sind wir da, fällt uns wieder ein, dass so eine Stadt ausser dieser Brücke doch vor allem mühsam zu durchfahren ist.

 

Die nächste Etappe ist nicht nur auf dem Papier anstrengend. Für einmal sind die Ortschaften unten – nix Schwung mitnehmen.

Geheimkontrolle! Auf dieser hügeligen Etappe kommt die mir sehr gelegen. Eine Portion zwecks Kaubarkeit mit Wasser gepimpte Portion Pasta essend, darf ich dieses sehr spezielle MBB bestaunen. Später werde ich den Fahrer darauf mit hinter dem Kopf verschränkten Armen bergauffahren sehen; Neid!

Nachtvorbereitungen in Carhaix. Mein Licht hat nach 2.5h Dunkelheit und zwei Tagen mit Tagfahrlicht noch 20% Akku – das sollte reichen bis zum Hotel in Pontivy.

 

Mittlerweile bin ich wieder in der Bulge angekommen. Es würde sich stets Windschatten finden lassen, gleichzeitig ist das Überholen erschwert und bei Kontrollen ist mit Wartezeiten zu rechnen.

 

Schiebend überhole ich einen fahrenden Randonneur. 🤣

 

Bei der Ausfahrt aus einem stockfinsteren Kreisel erlischt das Licht ohne Vorwarnung. Im Kopf habe ich das Szenario schon oft durchgespielt, jetzt folgt der Ernstfall: Vollbremsung (uff, nix touchiert!), umgehängte Stirnlampe an, aufs Gras fahren, aussteigen, Leuchtgilet an, Sitz raus, Haube rein, Sitz rein, Handylicht an, Stirnlampe auf rot, Stirnlampe durch Rangierloch fixieren, Handy 90° gedreht an Magnethalterung, Gilet aus, einsteigen, mich einem anderen Randonneur anhängen. 1-2km später erreichen wir den Ort und ich biege für 2.5 beleuchtete km ab zum Hotel.

Ich bin heiser und werte das als Zeichen von genügend Rumgequatsche heute.

 

jour 3: pontivy-mortagne

Mit wieder vollen Speichern rolle ich die 2.5 bergab-Km zurück zur Strecke. Die Haube verbleibt für den Rest des Brevets im Velo.

 

Loudéac erreiche ich gerade im Zeitlimit. Bei einem kurzen Velocheck fällt mir auf, wie abgefahren die Pneus vorne sind. Die sehen nach 200+800km aus, wie ich es mir nach 8000 gewohnt bin. Rolltests drei Wochen später werden zeigen, dass die Spur massiv (2 2/3 Umdrehungen) verstellt ist – wie viel Energie ich wohl verschenkt habe? Als ich eine gute Stunde später satt und mit gewendeten Reifen losfahre, ist auch das Zeitlimit der letzten Startgruppe vorbei und die Aufräumarbeiten haben schon begonnen. Alle hier Fahrenden sind also aus dem Zeitlimit gefallen, inkl. mir! Ich habe das so geplant und mache mir deshalb keine Sorgen.

 

Endlich etwas Gegenwind.

 

Gegenwind ist bald wieder vorbei.

 

Während ich in Tinténiac zum Essen fassen anstehe, esse ich das obligate Paris-Brest noch bevor ich es bezahlt habe.

 

Kurz nach Tinténiac werde ich von einem Begleitmotorrad rausgewunken. Was ich falsch mache? Nichts, T möchte meine Einwilligung, mich filmen zu dürfen, denn er fahre selbst eine Leiba Classic. Es ist sein viertes PBP auf dem Motorrad und er fährt die ganze Strecke – Respekt! Wir werden uns heute noch ein paar Mal zuwinken.

Fougères auf dem Rückweg. Das Foto der Frau im Helfershirt ist auf Facebook. Der Junge, mit dem ich Vorgestern abgemacht habe, ist tatsächlich wieder da und dank Foto auf seinem Handy kann er dem Vater anhand der Startnummer auch beweisen, dass es tatsächlich das gleiche Velo ist trotz „fehlendem“ Dach.

 

Wiederum spüre ich die „Ankunft in der Bulge“. Bergauf ergeben sich Wortwechsel, doch etliche Teilnehmer sind ziemlich apatisch. Schade!

Am berühmtesten Crêpes-Stand des Events in La Tannière lasse ich alle Interessierten einen Blick ins Velo werfen, während ich eine Leckerei verschlinge. Ich werde ihnen eine Postkarte aus meiner Heimat schicken, wie es in den letzten Jahrzehnten hunderte getan haben.

 

Ein bisschen Regen.

 

P aus Portugal hat sein Liegerad auf eBay ersteigert und ist damit bei PBP zum ersten Mal im Dunkeln gefahren.

Solche Bilder hätte ich hundert- oder tausendfach machen können: Irgendwo am Strassenrand stehen Leute, die sich das Brevet anschauen. Die Hälfte applaudiert, die andere filmt/fotografiert und die Kinder sind völlig begeistert, gefühlt waren es vor vier Jahren noch 60% anfeuern und 40% Kamera.

Villaines auf der Rückfahrt zur Rush Hour. Cool!

M aus Leipzig unterschätzt die Verzögerung des Velomobils und/oder meine Bereitschaft, diese bei vortrittsberechtigten Autos auch einzusetzen.

Mitten in der Bulge ziemlich gemütlich bergauf – an dem breiten Landwirtschaftsfahrzeug komme ich eh nicht vorbei, es selbst auch nur selten an den Randonneuren.

Fotografiert/gefilmt wird das spezielle Gefährt nicht nur vom Streckenrand. Hier immerhin mit schöner Abendstimmung.

Fahrt in die letzte Nacht. Für die meisten anderen ist es die Vierte und eine lange.

 

Dem DF-Fahrer mit gerissener Kette kann ich nicht helfen, resp Hilfe ist auf dem Weg. Er wird in der Zeit finishen.

 

Die Abendstimmung ist eigenartig: Oben Sterne und in der Ferne viele Blitze. Die Rückspiegel stelle ich angesichts der Blendgranaten so ein, dass ich nur mit Verrenkung und nicht wie sonst permanent nach hinten sehe.

 

200m vor der Kontrolle bereite ich das Velo und mich soweit vor, dass ich es nur hinstellen kann und niemanden wegschicken muss, der „gerade gucken möchte“. Der Plan geht auf und das steilste Stück muss ich auch nicht fahren, sondern schiebe.

 

Mortagne, 23Uhr. Für mich gibt es Bier, Soda, kalte Dusche und 7.5h Schlaf im Schlafsaal in zweiter Kleidergarnitur – für viele nur einen kurzen Powernap: entlang aller Wände/Eingangsbereiche/etc sieht es so aus.

 

Wenige Zentimeter vor mir liegt ein Nackter – offensichtlich ohne zweite Kleidergarnitur. Und das auch noch die nächsten vier Stunden. Hinter mir ist die Wand des Gebäudes und dahinter plätschert der Regen. Es stinkt (auch von meinen Socken), schnarcht, Garmin-piept, tippelt, raschelt, ratscht, …

jour 4: mortagne-rambouillet

Draussen ist es trocken. Der nachts gehörte Dauerregen war die Dusche…

 

Mit frühmorgendlichem Reis mit Schinken wage ich mich an die restlichen Km.

Schöner Start in den letzten Tag. Ganz trocken bleiben wird es nicht.

 

In Dreux halte ich nur ganz kurz für den Stempel. Mittlerweile bin ich wieder im hinteren Teil der Bulge. Viele Überholte werden es knapp unter 90h ins Ziel schaffen.

Je länger ich heute unterwegs bin, desto mehr Randonneure sind auf der Strecke: Zur Zeit meiner Zieleinfahrt werden noch nicht alle 90h-Limits ausgereizt sein und einige geben wirklich noch alles (also Hände besser an den Lenkern/Bremsen). Hier konnte ich mal wieder ein Foto wagen.

 

Wie das sonst ausgesehen hat:

Ja, den Traktor habe ich nach der Linkskurve auch gleich überholt…

 

3km vor dem Ziel fahre ich zu einer Gruppe auf mit A im DF, einem Liegeradler und einem Liegetriker. Zu viert fahren wir zum Ziel – cool!

Für die letzten 300m brauche ich etwa 15 Minuten und habe immer noch über fünf Stunden Puffer. So soll es sein!

epilogue

Im Ziel setzt Regen ein, während ich mit befreundeten Amerikanern weitere Ankömmlinge bejuble. Mit mir unter dem Schirm P, das erste norwegische Mitglied der Adrian Hands Society; Im Hintergrund Adrian Hands‘ Enkelin und Sohn, der PBP eben mit einem Fixie gefinished hat.
Zu zweit fahren wir durch den Regen zum Camping und einen Tag später mit dem TGV heim. Das Velo folgt wiederum zwei Tage später.