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BRM 600 ROAD TRIP MODE+ (2019) | Rocketman ruft Groundcontrol (Erlebnisbericht)

von Rocketman aka Bela Takacs

Der Countdown läuft

"Es ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist."

Nun stehe ich also wieder hier, in Buch, an diesem magischen Ort, hier wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, am Ende der Welt, an der heiligen Stätte der Schweizer Ranndoneur Szene bei den roten Teufeln, frierend und wie immer schlecht gelaunt. Thomas, die Ruhe in Person mit zentriertem Chakra und fein justiertem Ying und Yang begrüsst mich herzlich, händigt mir meine Startnummer aus, sieht mich kurz an und fragt mich: "He Bela, was ist los, du siehst müde aus!" Müde! denke ich zynisch, danke für das Kompliment! Denn in Wirklichkeit sehe ich Scheisse aus und so fühle ich mich auch!

 

Schlecht geschlafen, Stress auf der Arbeit, 2 Stunden im Stau gestanden, vorher noch kurz die Kette gewechselt, nichts gegessen, den ganzen Nachmittag meinen zweiten, super Turbo Microfleece Membran Handschuh gesucht, aber nirgends gefunden. Mist, wie soll ich da ein Brevet fahren. Ich bin am Rande eines Nervenzusammenbruchs. „Nein, nein Thomas alles in Ordnung,“ lächle ich ihn gequält an, natürlich entgeht seiner feinen Sensorik nicht, dass ich ihn knallhart anschummle und er versucht den Schaden zu begrenzen, indem er mich vorsorglich mit High Energy Gumms und Cocos-Marcadamian Gels vollstopft.

 

Endlich der erlösende Startschuss, Ich zünde die erste Brennstufe und reihe mich brav in die Kolone ein, die sich wie eine Reihe Glühwürmchen durch die Abenddämmerung schlängelt. Ich versuche mein Tempo zu fahren, doch schon am ersten Hügel rattert mein Schaltwerk wie ein altes Hürlimann Traktorgetriebe, dass man bei voller Fahrt in den Rückwärtsgang zwingt. Mein Nebenmann schaut mich nur kurz schräg von der Seite an: "Schaltauge verbogen?" Super, fängt ja schon gut an! Schnell bildet sich eine vierer Spitzengruppe, lustlos lasse ich sie ziehen, zu schnell, zu hektisch und zu kraftraubend denke ich. Nach 600 km beim Aufstieg zum Pfändler werde ich Sie wiedersehen. Aber das ist eine andere Story. Es ist eben erst zu Ende, wenn es zu Ende ist.

Verloren im Orbit

„Verschwende keine Energie an Dinge, die du nicht ändern kannst“

Kurze Pinkelpause beim CheckPoint (CP) 1. Leider doch zu lange und weg sind sie, auch die zweite Gruppe ist mir entwischt! Wirklich nicht mein Tag heute, sauer setze ich nach, erhöhe meine Kadenz, um wieder auf die Gruppe aufzufahren. Doch ich kann am Gashahn drehen wie ich will, alles bleibt still. Da plötzlich bei einer rasanten Abfahrt zischt „Tifig“ in seiner fliegenden Kanonenkugel an mir vorbei, ich freue mich ihn zu sehen und wir tauschen uns kurz aus. „He Bela, hinter dir fährt eine Zweiergruppe, lass sie doch auffahren dann kannst du vom Windschatten profitieren!“ Hinter mir? Ich dachte die sind vor mir! Anscheinend sind sie falsch gefahren und ich habe sie unbemerkt überholt. Ich bedanke mich kurz und er donnert in seinem Spacemobil weiter. Kurzerhand nehme ich ein wenig Tempo raus und die zwei Racer holen mich kurz danach ein. Wir harmonieren gut, verstehen uns blind und lassen es krachen, dass die Fetzen fliegen. Scherzen und frieren um die Wette. Jagen durch die klirrend kalte Vollmondnacht. Chriggel der Aargauer mit Waden, wie Vorschlaghämmer eines Schmiedes, drückt jeden Hügel weg als wären sie aus Butter und Matthi, der Berner Giel, steht ihm in nichts nach „Gäng Vougas, Gring abe u trampä“ Ja, als ich jung war, war ich auch so! Immer mit Vollgas durchs Leben, immer am Limit oder leicht darüber, heute brauch ich das nicht mehr ... oder nicht mehr so oft…..

 

Irgendwann fragt mich Matthi in seinem breiten, liebenswertem Berndeutschen Dialekt: „Hey, bisch du nöd dä Rocketmään? Ich ha dinä Schpruch gläse: Meistens ist mein Tank nach der halben Distanz bereits leer, dann treiben mich meine positiven Gedanken vorwärts! Huerä guet.“ Mist! Erwischt denke ich. Wie kann man nur so Bullshit posten, entstanden im Adrenalinrausch, als alles Blut in den Beinen und nichts mehr im Kopf war. Heute ist mein Tank bereits nach 100 km leer und weit und breit kein positiver Gedanke in Sicht…….. Die Nacht ist eiskalt, ich friere, spüre meine Fingerkuppen schon lange nicht mehr! Die dünnen Jogging Seidenhandschuhe meiner Frau, die ich zur Not ausgeliehen haben, haben sich in Luft aufgelöst. Zerfressen und aufgescheuert vom Rotz, vom Schweiss, vom Ziehen und Rupfen am Lenker, um meine ungezähmte Carbonmaschine unter Kontrolle zu halten.

 

Gezeichnet von Müdigkeit, Hunger und Kälte versuche ich mich zu beruhigen. Um mich abzulenken befasse ich mich Gedanklich mit den elementaren Dingen des Lebens. „Ist Donald Trump wirklich ein Alien? Geht das Licht im Kühlschrank tatsächlich aus, wenn ich die Türe schliesse? Und wo in Teufels Namen versteckt sich mein zweiten Super teurer Turbo Microfleece Membran Handschuh?“ Viele Fragen und keine Antwort!

 

Als die ersten Sonnenstrahlen den Nebel zerschneiden, pfeife ich auch schon wieder kräftig mit als das Lied „Sunshine Reggae“ aus meinem Mobil erklingt! „Hoppla, der erste positive Gedanke, nun kann‘s losgehen.

Hey Jungs, nochmals vielen Dank für eure Unterstützung, es war mir eine Ehre mit euch durch die Nacht zu donnern, ich wünsch euch immer einen Meter mehr Kurve, falls die Bremsen mal versagen.“

Samuari oder Kamikaze

"Wenn der Sturm kommt, dann biegt sich der Bambus. Ist der Sturm vorbei, steht der Bambus wieder auf."

Beim Brevet fahren ist es immer gut einen Plan B zu haben. Meine Brevets beginnen erst nach der Hälfte der Distanz, so fahre ich z.B. das 400 km Brevet so, als ob es ein 600 km Brevet wäre, ich fahre nicht schneller als andere aber ich baue bedeutend weniger ab und habe so normalerweise immer genug Sprit im Tank. Man fliegt ja auch nicht mit halbvollem Tank zum Mond …

 

Irgendwann nach München dann die grosse Krise, der Mann mit dem Vorschlaghammer schlägt mir voll auf den Schädel, meine Alarmglocken läuten Sturm, denn ich sehe wieder mal Zwerge, die auf grossen Fliegenpilzen sitzen, Karten spielen und lachend Pfeife rauchen, Zeit für einen Powernap sonst falle ich vom Rad. Vor dem 1000 km Brevet habe ich mich intensiv mit verschiedenen Schlafstrategien befasst, glaubt mir, es ist besser sich kurz hinzulegen als den nächsten Zwerg über den Haufen zu fahren. Der Witz ist, dass deine Beine ewig weiterstrampeln könnten, aber dein Kopf den Schlaf braucht. Also radle ich nach einem kurzen 10 minütigen Powernap im frisch geschnittenen Gras, munter und gestärkt weiter über geschwungene Hügelzüge und vorbei an kristallklaren Bergseen Richtung Hohenschwangau.

 

Der heroische Anblick des wunderschönen Schlosses Neuschwanstein verschlägt mir fast den Atem. Winkt mir da nicht Schneewittchen zu? Leider hat sich der Erbauer, Märchenkönig Ludwig II, verlassen und von Depressionen geplagt, irgendwo in so einem kristallklaren Bergsee ertränkt. Schade um die arme Seele! Würde er heute leben, ich hätte ihm ein Rennrad geschenkt, Rad zu fahren hilft ja bewiesenermassen auch bei Depressionen und schlechter Laune! Bei mir funktioniert das auf jeden Fall, ich sitze auf mein Rad, lasse mir den Wind durch die Haare pfeifen und bin einfach glücklich.

 

Beim CP 5 In Hohenschwangau muss ich mich konzentrieren, um ja keine Japaner umzufahren.

Kaum steht mein Rad, werde ich von einer Horde Japanischer Groupies zwischen 12 und 90 Jahren umringt. Alle Lächeln mich an, bitten mich fotografieren zu dürfen, lassen Schloss und Schwiegervater links liegen. Ich packe mein bestes Japanisch aus und begrüsse die wilde Horde mit einer leichten Verbeugung: “Konnichiwa, Yoi Sutachi, Shimano, Yugioh." Mit einigen einfachen Worten, kann man auf der ganzen Welt ein Lächeln auf die Gesichter zaubern. Ich mag die Japaner, schliesslich haben sie die digitale Armbanduhr, Super Mario und das Sushi erfunden. Wer stellt die grösste Gruppe bei Paris Brest Paris? Klaro, die Japaner. Bin ich Kamikaze oder Samurai? Wie zwischen Wahnsinn und Genie ist hier die Grenze nicht so klar zu definieren!

 

Mit einem Lächeln auf den Lippen und genügend positiven Gedanken für die letzten 100 km gebe ich meinem Carbongaul die Sporen.

In der Hölle ist der Teufel los

"Ist Dein Feind stärker als Du, dann mache ihn zum Freund!"

Skurril nach 500 km erst 2000 Höhenmeter auf dem Garmin, das kann ja noch heiter werden … und da erspähe ich bereits meine Gegenspieler, Berge! Steil, steiler, AUDAX Suisse!! Wie die spitzen scharfen Zähne eines weissen Haies stehen sie sauber aneinandergereiht in Reih und Glied und warten auf den Kampf. Steil, heroisch, messerscharf, versperren sie dir den Weg, bereit dich zu quälen, dich zu schinden und zu vernichten.

 

Teufelswerk denke ich, den bereits riecht es nach Pech und Schwefel. Den Kampf mit dem Teufel kann man nur verlieren, das hat mich meine zertrümmerte Felge am 200 km Brevet gelehrt, also habe ich entschieden, mich mit dem Teufel zu verbünden, ihn zu loben, einen Pakt mit ihm zu schmieden. Und da sehe ich ihn auch schon auf einem Felsvorsprung sitzen, dampfend, stinkend, lachend. „So du kleiner Wurm“, schnauzt er mich höhnisch an, „am Ende deiner Kräfte, was? Wohl keine Kohlenhydrate mehr im Tank, die Zunge schon am Boden, die Rakete ausgebrannt!“

 

Mit letzter Kraft versuche ich zu lächeln und cool Sunshine Reggae zu pfeifen. „ Hallo Teufel, was soll der Blödsinn mit diesen Hügelchen, wann kommen die richtigen Berge? Das kann ja nicht schon das Ende der Fahnenstange sein! Bin schliesslich ein aus hartem Holz geschnitzter Ranndoneur und kein panflötenspielender E-Bike Fahrer mit rosaroter Gorotex Jacke." Verdutzt schaut er mich an und stampft energisch mit seinem Pferdefuss auf den Boden. “Waaaas, du wagst es mich herauszufordern!“ „Schau Teufel, ich habe da eine Kosten-Nutzen Analyse angefertigt, die aufzeigt, wie du den Höllenqualeneffekt deutlich erhöhen könntest! Einige Plattfüsse wären gut, eingestürzte Brücken oder ein richtig höllisches Gewitter. In der Nacht hättest du auch ruhig einige Briketts nachschieben können, hab mir ja fast die Finger abgefroren.“

 

Nachdenklich kratzt sich der Teufel am zerzausten Ziegenbärtchen. „Ähh, ja, hmm, das ist ja gar keine so schlechte Idee!!“ „Jooo und deine Tochter, hat mir an der Tanke einen höllisch starken Kaffee gebraut und mir feurige Blicke zugeworfen, wirklich ein heisser Feger die Kleine.“ „Waaas, lass meine Tochter aus dem Spiel!“

 

Satan tobt und speit Gift und Galle. “Na, wer wird den gleich ausrasten, pubertierende Kinder? Ich versteh dich doch, wir sitzen doch im selben Boot!“ Traurig schaut mich der Teufel an. „Gestern habe ich sie sogar dabei erwischt, wie sie mit einem katholischen Priester gechattet hat.“ Eine dicke Träne kullert ihm aus dem linken Augen und verdampft mit einer kleinen Flamme zischend auf dem Boden. Ich gebe ihm den höllisch heissen Tipp, es doch mal mit einer Gesprächstherapie zu versuchen. Der Belzebube notiert sich alles fein säuberlich auf seinem Tablet in der Höllenqualen-App, während er ganz aufgeregt, wild mit seinem brennenden Schwanz herumwedelt. „Höllisches Gewitter, Reifenpannen, einstürzende Brücken, Gesprächstherapie!“ wiederholte er leise. „Vielen Dank und bis zum nächsten Mal„ verabschiedet er sich höflich und verschwindet. Zurück bleibt nur eine stinkend gelbe Schwefelwolke.

 

Ich schüttle meine zwei verbliebenen Kohlenhydrate von meiner Reservetank-Wand und verschlinge mein letztes Cocos-Macadamian Gel von Thomas. Der exotische Geschmack entführt meine Gedanken für einige Minuten an einen schneeweisen, karibischen, von Palmen gesäumten Sandstrand. Ich höre Kinderlachen und der Klang einer Fasstrommel, in der Luft liegt ein himmlischer Geruch von frisch grilliertem Fisch und Pina Colada ...

 

Weiter, weiter, feuere ich mich an, zerstöre Höhenmeter um Höhenmeter, hier ist mein Revier, hier bin ich zu Hause! Der hart erarbeitet Ausblick auf das Lichtermeer am Bodensee, nimmt mir all meinen Schmerz, entschädigt mich für den Einsatz, den Kampf, die Entbehrungen. Wie pflegte mein Grossvater stets zu sagen : "Alles hat ein Preisschild im Leben." Dieses Brevet ist nichts für Dummschwätzer und Autoscooter Piloten. Dieses Brevet wählt seine Finisher selber aus, sie sind zäh, dreckig, hart im nehmen, voller Abenteuerlust und Pioniergeist.

 

Ich bin einfach nur glücklich, fülle meine zerstaubten Lungenflügel mit der frischen, sauberen Abendluft und geniesse den Moment und die Ruhe. So, Zeit die letze Brennstufe zu zünden und ins Ziel zu düsen.

 

Rocketman has landed, Rocketman is back to earth, thanks Groudcontrol to bring me home!

AUDAX Suisse | DIAbLES RoUGES
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