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BRM 200 BODENSEE+ (2018) | Erlebnisbericht

von Anja Elkeries

Kilometer 15: Tränen liefen mir die Wangen herunter. Ich heulte und schluchzte laut und war froh alleine zu sein. Es ist Samstag, der 14.04.18 und am heutigen Tag würde ich nichts anderes machen als Rad zu fahren – ich hatte Zeit - endlich hatte ich Zeit. Mein Vater ist Ende November letzten Jahres gestorben. Seither hatte ich funktioniert, hatte keine Zeit zu trauern. Aber jetzt war ich unterwegs. Das was jetzt funktionieren musste war mein Körper. Die Seele hatte Zeit zu verschnaufen und da passierte es: Plötzlich spürte ich den Verlust den ich erlitten hatte. Ich fing an zu weinen und es tat gut. Ich wusste am Ende des Tages, am Ende des Brevets würde ich in der Verarbeitung der Trauer ein ganzes Stück weiter sein.

 

Brevet fahren heißt für mich in erster Linie Zeit haben. Für mich ist das wie ein Kurzurlaub. Für eine definierte Zeit würde ich nichts anderes machen als in die Pedale zu treten – rechts, links, rechts… Der Körper arbeitet, der Geist hat Zeit. Fast schon meditativ… Mit meinen nahezu 50 Jahren bin ich nicht die schnellste und ich habe auch gar keine Lust dazu, das überlasse ich den Jüngeren. Aber eines bin ich – ausdauernd. Gepaart mit einem überaus bemerkenswerten Dickkopf und einer starken Naturverbundenheit ist dies eine gute Voraussetzung für Brevets so zumindest meine Erfahrung. Mein Rennrad kaufte ich vor zwei Jahren, nach einem Sturz mit dem Mountainbike, bei dem ich, neben diversen Zähnen, auch mein rechtes Hörvermögen einbüßte. Danach hatte ich Angst auf anspruchsvollen Waldwegen unterwegs zu sein und fühlte mich fortan auf der Straße wohler. Am Anfang fuhr ich einige RTFs, doch das war einfach nicht mein Ding. Zu viele Leute wollten zu schnell wieder ans Ziel. Zu viel Tempo, zu viel Hektik, das war nicht das was ich suchte. Per Zufall las ich einen Bericht über das Langstreckenfahren in einer Fahrradzeitschrift. Mein Interesse war geweckt. Über die Wintermonate verschlang ich alle Brevetberichte die ich finden konnte und meldete mich Anfang 2017 in Freiburg zu meinem ersten 200er an. Stolz aber auch ziemlich kaputt finishte ich erfolgreich und mir war klar, das war nicht mein letztes Brevet. Es folgten der Bodensee+ (200er) und Hegau+(300er) bei Audax Suisse. Gerne wäre ich auch das Mt. Ventoux Brevet (600er) von ARA Breisgau mitgefahren, aber familiäre Gründe sprachen dagegen. Stattdessen begnügte ich mich damit, den Mt. Ventoux innerhalb eines Tages von allen 3 Seiten zu befahren und damit Mitglied im Club de Cinglés zu werden.

Nun aber zurück zum diesjährigen 200er am Bodensee. 4.30 Uhr. Ich kann nicht mehr schlafen. Bin zu aufgeregt. 3 Mal war ich dieses Jahr schon krank. 6 Wochen konnte ich nicht trainieren. Würde meine Kondition heute reichen?  Letztes Jahr war ich mir sicher, heute nicht. Die Fahrt nach Buch war wie immer traumhaft. Von der Autobahn aus konnte ich verfolgen wie die aufgehende Sonne das Hegau mit ihren rötlichen Strahlen erweckte und der Nebel sich tief in den Tälern versteckte. In Buch angekommen war schon reges Treiben. Ich hatte das Gefühl, dass diesmal recht viele die Möglichkeit der Übernachtung vor Ort in Anspruch genommen hatten. Nach einem ausgiebigen Frühstück hole ich mein Rad aus dem Auto und bringe es zur technischen Abnahme. Pünktlich um 8.00 Uhr bricht der größte Teil der Teilnehmer auf. Ich lasse mir noch etwas Zeit bevor ich losfahre. Schnell merke ich, dass ich viel zu warm angezogen bin. Die Sonne hat auch schon zu früher Stunde Kraft und nach ca. einer halben Stunde stoppe ich und ziehe meine Jacke aus. Letztes Jahr hatte ich dreimal angehalten um am Ende alles anzuhaben, was ich dabei hatte. Da war es nebelig und lausig kalt. Nicht so dieses Jahr. Allerdings bleibe ich den ganzen Tag langärmelig, da durch das kalte Wasser im See (ca. 8°C) immer eine angenehm kühle Brise weht. Am See angekommen bemerke ich die Ausweichbuchten auf dem Radweg und fahre, mir darüber Gedanken machend wie voll das im Sommer auf diesem Radweg sein muss, dass es dieser Buchten bedarf, hinter vier weiteren „roten Teufeln“ her. Plötzlich biegen zwei Fahrer links den Berg hinauf ab, zwei fahren geradeaus am Seeufer weiter. Irritiert schaue ich auf meinen Bike Computer. Die vorgegebene Route ist tatsächlich links den Berg hinauf. Kurzes Zögern, nein, ich habe noch nie und werde auch dieses Mal nicht abkürzen. Also runterschalten und den Berg raufgeschnauft. Schön ist es hier oben. Und dann geht es auch schon wieder den Berg hinunter, um in Überlingen in einer Art Serpentine wieder das Ufer zu erreichen.

CP-1: Pfahlbaumuseum
CP-1: Pfahlbaumuseum

Bis zum ersten Kontrollpunkt am Pfahlbautenmuseum ist es nicht mehr weit. Ich halte mich nur kurz auf, beantwortete die Frage und fahre weiter. 

 

Im Folgenden halte ich öfter an um Fotos von dem wunderschönen Panorama zu machen.  Im Vordergrund der ruhige, idyllische See und im Hintergrund die schneebedeckten Berge der Alpen. Dazu noch Sonnenschein und angenehme Temperaturen. Was will das Radlerherz mehr. 

 

Über Friedrichshafen schwebt ein Zeppelin und zieht die Aufmerksamkeit der Touristen auf sich. Die folgenden Kilometer fahre ich zusammen mit einem weiteren Mitstreiter, der das erste Mal an einem Brevet teilnimmt. Er überlegt sich noch, ob er den Pfänder mitnehmen soll oder nicht. Bei meinem desolaten Trainingszustand habe ich darüber nicht eine Sekunde nachgedacht.

In Langenargen Kreuzung Untere Seestraße/Friedrichshafener Straße halte ich an, um mich zu stärken. Während ich mein belegtes Baguette verdrücke erkunde ich den Rastplatz. Es gibt hier einen Fahrradständer, eine Bank mit Blick auf das Schloss, welches vorgelagert auf einer kleinen Halbinsel im See liegt, direkten Zugang zum See, eine Ladestation für E-Bikes und eine kleine Servicestation für Fahrräder mit Pumpe und Werkzeug für jedermann. Ein schöner Platz zum Verweilen. Frisch gestärkt fahre ich weiter.

 

In Bregenz ist nicht allzu viel los, was ich mit Wohlwollen registriere, da ich letztes Jahr zwischen Kindern und E-Bikern herum jonglieren musste. Kurz nach dem Bregenzer Jachtclub überquere ich die Ach. Das Wasser mit seiner hellgrünen Farbe sieht sehr kalt aus. Ich fange an zu frösteln und bin froh von der warmen Sonne angestrahlt zu werden. Auch den Rhein der hier in den Bodensee fließt überquere ich, bevor ich gegen den Wind kämpfend am Jachthafen Salzmann ankomme. Im Kiosk erwerbe ich die letzte Brezel und eine Dose Limo (über den Preis für beides wollen wir mal lieber nicht reden), setze mich in die Sonne und genieße die Ruhe und die Aussicht auf den See. Als zwei sehr kinderreiche und lautstarke Familien mit ihren Fahrrädern den Kiosk erobern beschließe ich, dass es Zeit ist aufzubrechen. Von blühenden Obstbäumen begleitet geht es nun wieder zurück in die Schweiz. Die Straße nach der Grenze hat es in sich. Hier verläuft der Radweg direkt nach einer Kurve auf der linken Seite der rechten Spur, was beim erstmaligen Befahren zu Irritationen führen kann. Ich kannte diese Stelle noch von letztem Jahr und war auch nicht verwundert zwei Randonneure etwas orientierungslos am Straßenrand stehen zu sehen. Nun ging es wieder den Berg hinauf. Eigentlich keine Steigung, mit der ich sonst Probleme hätte, aber jetzt machte sich doch meine fehlende Kondition und meine 5 Kilo hartnäckiger Winterspeck bemerkbar. Der Parkplatz zum Restaurant Windegg war der nächste Kontrollpunkt und so treffe ich hier auch einige bekannte Gesichter wieder. Viele genießen den herrlichen Blick über den See bevor es nach einem weiteren kurzen aber heftigen Anstieg wieder hinunter zu den Ufern des Bodensees geht.

 

Der Radweg auf Schweizer Seite ist sehr gut ausgebaut, jedoch verläuft er einige Zeit entlang der Bahnschienen wobei er regelmäßig die Seite wechselt. Selbstredend schließen sich die Bahnschranken immer dann sobald man in Sichtweite des Bahnüberganges kommt. Das hat natürlich auch viele Vorteile. So kann man in regelmäßigen Abständen mit anderen wartenden Randonneuren quatschen, in Ruhe eine Dose Limo trinken oder was auch immer einem einfallen mag um die oft  minutenlange Wartezeit zu überbrücken. Ich denke, dass ich an diesem Tag gut eine Viertelstunde nur mit Warten verbracht habe.

 

Die Innenstadt von Konstanz ist für mich beim Bodensee+ ein Highlight im negativen Sinne. Hier steppt samstags der Bär. Das Tragen des Fahrrads über die Fußgängerüberführung finde ich ja nicht weiter schlimm. Mein Rad ist leicht und ich habe keine Lust auf stinkige Aufzüge zu warten. Außerdem tun ein paar Schritte zu Fuß gut. Jedoch steht man danach im samstäglichen Einkaufsgetümmel. Auf der Straße gibt es kein Vorwärtskommen – zu viele Autos die im Stau stehen. Sowieso ist der offizielle Radweg Teil des Fußgängerweges. Aufgrund der Massen an Menschen - sehr schwierig. In Schrittgeschwindigkeit, den Bremshebel umklammernd kämpfe ich mich vorwärts. Endlich erreiche ich eine Nebenstrasse. Schnell raus aus dem Getümmel. Die Strecke zwischen Konstanz und Radolfzell gehört meiner Ansicht nach, nicht gerade zu dem schönsten Teil des Bodenseeradweges da sie eine lange Zeit parallel zu einer stark befahrenen Landstraße verläuft. Am Bahnhof Radolfzell dem dritten Kontrollpunkt trage ich die letzte Antwort in meine Brevetkarte ein und dann geht es auch schon nach Buch zurück. Die letzten Kilometer werden begleitet von einer wunderschönen Landschaft, „herrlicher“ Landluft (extremer Güllegestank) und der Vorfreude auf das leckere Essen, das mich in Buch erwartet. Nach 216 Kilometern komme ich glücklich und zufrieden an der Turnhalle an, wo alle Brevetteilnehmer mit Essen, Trinken und netten Gesprächen empfangen und verwöhnt werden. Dank an das gesamte Audax Suisse Team für diesen perfekten Tag.

 

Danke Papa für die wundervolle Zeit.